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Ženja Tarlins Erinnerungen zum Bärenfest

„Jäger kamen hierher, es war gut, dass sie einen guten Hund hatten. Er war ziemlich furchtlos. Der Hund habe ihn gefunden, wurde mir gesagt. Dann haben sie sich alle zusammengetan und den Bären erlegt. Darauf ‚entkleideten‘ sie ihn (zogen ihm das Fell ab). Sie brachten ihn auf die andere Seite des Kazym-Flusses in ein Herbstlager. Dort veranstalteten sie eine Bärenzeremonie. Das war in den 1960er Jahren. Mein verstorbener Vater sagte mir: ‚Es war ungefähr 1968 oder 1969, ja. Ungefähr um diese Zeit.‘ Mein Onkel Vanja lebte damals noch. Er erzählte, dass sie sich dann alle zur Bärenzeremonie versammelt hätten. Sie hätten in unserem Haus gesungen, sagte er. Damals gab es noch Sänger. Da lebte mein Onkel Vanja noch. Er ist immer aufgetreten und hat gesungen und getanzt. Mein verstorbener Vater erzählte, sie hätten damals das Singen so gelernt. Damals durfte man keine Bärenzeremonien abhalten. Zu der Zeit war es verboten. Er sagte, sie hätten es in aller Stille im Haus gemacht. Und er erwähnte, dass Onkel Vanja viele Lieder kannte, 300 Lieder kannte er. Mein verstorbener Vater erzählte, dass er von ihm das Singen gelernt habe. Das sei früher gewesen, im Jahr 1940, sagte er. Da hatte der Krieg noch nicht begonnen. Er erzählte, dass in dieser Zeit meine Urgroßväter, Großväter und Onkel Vanja in den Herbstlagern, wenn sie auf Bärenjagd gingen, gesungen hätten und er hörte immer zu. ‚Ich war erst zehn Jahre alt‘, sagte er. Dort, sagte er, habe er alle Lieder gehört und verstanden, lernte ihre Texte und Melodien. Diese Lieder waren damals verboten. Sie wären verfolgt worden, wenn es herausgekom- men wäre. Damals war es sehr streng. Deshalb machten sie die Bärenzeremonien heimlich in den Hütten im Wald. Dort hat mein Vater die Zeremonien und Bärenlieder gelernt. Er kannte Bärenlieder und sang heilige Lieder, 65 Lieder kannte er. Man nennt sie Tierlieder.

Mein verstorbener Vater schrieb sie für mich auf. Und dann kam mein Bruder Miška und warf sie in den Ofen. Er warf sie in den Ofen und sie verbrannten. Einige andere von uns schreiben jetzt die Lieder auf. Mein verstorbener Vater hatte die heiligen Lieder aufgeschrieben. Und sie haben sie im Ofen verbrannt. Ich begann zu suchen, aber sie hatten die Hefte im Ofen verbrannt. Jetzt fragt man nach ihnen, und ich meine, man hätte sie ins Museum geben sollen. Das sind doch heilige Lieder, man darf das doch nicht mit ihnen machen. Er meinte, er habe ja nicht wissen können, was das für Papiere gewesen seien. Warf sie einfach den Ofen.“

Aufgezeichnet von Stephan Dudeck, 2021.