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Aleksandra Terechina beschreibt hohe Fellstiefel

„Das traditionelle Schuhwerk der Nenzen besteht aus kamus, dem Fell von den Beinen der Rentiere. Solche Schuhe nennt man bei den Jamal-Nenzen piva, oder auf Russisch gewöhnlich auch kisy, wobei dieses Wort aus der Sprache der Komi stammt. Kisy gibt es für Männer in verschiedenen Schnittvarianten, für Frauen jedoch normalerweise in nur in einem Stil. Die kisy der Männer sind länger als die der Frauen. Das ist auf die jeweils besonderen Tätigkeiten im Alltag von Männern und Frauen in der Tundra zurückzuführen. Einmal, als ich in einem čum (Zelt) lebte, bekamen wir im Oktober Besuch. Ich war überrascht von den Schuhen der Männer und Frauen. Es waren seltsame kisy, die an der Unterseite eigenartige flauschige Fragmente hatten – wie sie auf dem Foto dieses Ausstellungsstücks zu sehen sind. Später fragte ich die Besitzerin, was diese kisy seien. Sie erklärte mir, dass es sich um Halbschuhe handelt, die im Frühjahr und Herbst getragen werden, wenn die Tundra ziemlich nass sein kann, weil die Temperatur schwankt und der Schnee schmilzt und dann wieder gefriert. Normale kisy können bei diesem Wetter verderben, weil sie ständig nass werden, man muss sie anschließend trocknen, und die Schuhe nutzen sich schneller ab.

Die hier zu sehenden kisy heißen loӈg piva im Tazovskij Bezirk oder loŋg mada im Jamal-Bezirk, wo man auch einfach mada sagt. Sie sind einfacher geschnitten. Wenn für gewöhnliche kisy für Erwachsene etwa acht Rentierbeinfelle benötigt werden, näht man loŋg piva aus vier solcher Felle. Es gibt also weniger Nähte und damit weniger Möglichkeiten für das Eindringen von Feuchtigkeit. Die flauschigen Teile um den Fuß herum, die bis zu den Knöcheln reichen, werden aus dem oberen Teil des Rentierbeinfells genommen. Auch das hilft, die Feuchtigkeit außen zu halten. Einerseits sind sie also warm und andererseits im Herbst und Frühjahr sehr praktisch. Loŋg piva oder mada, also kisy dieser Art, sind auch praktisch, wenn man mit dem Schneemobil fährt, weil die Motorwärme den Schnee schmilzt und die Stiefel schnell nass werden.

Im Tasovskij-Bezirk und im nördlichen Teil der Jamal-Halbinsel, so erzählte man mir, werden solche Schuhe normalerweise nur von Männern und Kindern getragen. Bei den Frauen habe ich so etwas noch nicht gesehen. In der Jarsala-Tundra des Jamal-Bezirks werden loŋg piva oder mada jedoch sowohl von Frauen als auch von Männern und natürlich auch von Kindern getragen. Manche sagen, dass mada nicht mehr überall ein beliebtes Schuhwerk sind, weil man nun mehr Gummistiefel trägt, die überhaupt nicht durchfeuchten, was somit bequemer ist. Die kisy, die hier gezeigt werden sind loŋg piva. Es sind die kisy der Frauen, sie sind nicht so lang wie die der Männer. Sie sind schon einige Jahre getragen worden und haben deswegen aufgeriebene Sohlen. Normalerweise sind die kisy zusammengebunden. Wenn man sie aufbindet und getrennt aufbewahrt, bringt das Unglück. Die Besonderheit beim Nähen von Frauen-mada oder loŋg piva ist, dass man nie das Fell von der Stirn des Rentiers auf die Sohle näht – genau wie bei allen anderen Frauen-kisy.

Bei den Nenzen gibt es eine Reihe von Meidungsregeln für Frauen. Der Rentierkopf und dessen Haut gelten als heiliger als alle anderen Körperteile. Da es Frauen nicht erlaubt ist, auf oder über verschiedene Gegenstände zu steigen, um sie nicht mit sogenannter Unreinheit zu versehen, darf die Haut der Stirn des Rentiers nicht für Sohlen verwendet werden.“ (Тranslation in progress)

Aufgezeichnet von Aleksandra Terechina, 2024.